Die Klassiker des Art déco

(dpa/tmn) „Eine reiche Schicht, die auf Luxusdampfern und mit Flugzeugen reiste, umgab sich mit geradlinigen Gegenständen, die nichts Florales, nichts Fließendes hatten, sondern sich am Klassizismus und an der Antike orientierten.“ Eine Abkürzung hat sich als Bezeichnung für die Epoche der Designgeschichte durchgesetzt, deren Hochzeit in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts lag: Art déco leitet sich ab von arts décoratifs, was so viel bedeutet wie „verzierende Künste“.

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Eileen Grays Art-déco-Entwürfe werden heute noch vertrieben: Bekannt ist heute vor allem ihr Ledersessel „Bibendum“ und der Beistelltisch „E1027 Adjustable Table“. Bild: ClassiCon

Strenge Formen

Es waren eher strenge Formen, die die Möbel dieses Stils auszeichneten. Aber tatsächlich gibt es nicht das eine Merkmal für das Design, was eine Definition oder Zuordnung oft erschwert. Olaf Thormann, stellvertretender Direktor des Grassi Museum für Angewandte Kunst in Leipzig, nennt elegante, abstrahierte Formen, die Freude am fantasievollen Dekor und an leuchtenden Farben als Charakteristika.

Das zeigen auch die verwendeten kostbaren Materialien mit mondäner Wirkung. Art déco bediente etwa mit Elfenbein, Rochenhaut, Bronze und Kristall den Geschmack einer zahlungskräftigen Oberschicht. Die ersten industriell produzierten Kunststoffe wie Bakelit machten es möglich, Produkten der Elektrifizierung wie Telefonen und Radios eine ansprechende Hülle zu geben.

Das Art déco verband sich explizit mit einem modernen Lebensgefühl, mit dem Blick nach vorn. Olaf Thormann, stellvertretender Direktor des Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Elfenbein, Rochenhaut, Bronze und Kristall den Geschmack einer zahlungskräftigen Oberschicht. Die ersten industriell produzierten Kunststoffe wie Bakelit machten es möglich, Produkten der Elektrifizierung wie Telefonen und Radios eine ansprechende Hülle zu geben.

41518464_lay.jpgDas Design der typischen achteckigen Espressokanne für den Herd entstammt dem Art déco. Bild: Mascha Brichta

Die Formgebung des Art déco erstreckte sich von Möbeln über Fahrzeuge, Mode, Architektur, Bildhauerei, Malerei und Grafik bis zu Artikeln des täglichen Gebrauchs. Und das macht Art déco bis heute so beliebt. Ein Objekt, das in fast jedem italienischen Haushalt vertreten ist, ist die achteckige Espressokanne von Bialetti.

Das Zentrum des Stils war Paris. Dort fand 1925 die Ausstellung „Exposition internationale des arts décoratifs et industriels modernes“ statt. Sie gab dem Design seinen Titel. Einer der großen Namen ist Jacques-Émile Ruhlmann (1879-1933), dessen Möbel von erlesener Qualität waren. Es waren Modelle, für die nur die seltensten Materialien zum Einsatz kamen: Palisander, Amboyna, Amaranth, Makassar-Ebenholz und kubanischer Mahagoni. Die Einlegearbeiten wurden in Elfenbein, Schildpatt oder Horn ausgeführt.

Ruhlmanns hochwertige Möbel waren nur für die oberen Zehntausend erschwinglich. Er rechtfertigte das damit, dass sich ein zeitgenössischer Einrichtungsstil nur entwickeln könne, wenn die Reichen dies unterstützten – ähnlich wie früher am Hof des Königs.

Noch immer aktuell

Seine aufwendigen Schränke, Kommoden und Stühle werden heutenicht mehr hergestellt. Anders ist dies mit den Entwürfen von Eileen Gray (1878-1976). Sie waren ihrer Zeit zum Teil so weit voraus, dass sie noch immer ausgesprochen aktuell wirken. Bekannt ist heute vor allem ihr Ledersessel „Bibendum“, dessen wulstiges Volumen auf die Form des Michelin-Reifenmännchens anspielt.

„Eileen Gray war eine sehr eigenständige und unabhängig arbeitende Entwerferin“, sagt Oliver Holy, Geschäftsführer von ClassiCon, das die Eileen Gray Kollektion produziert und vertreibt. „Ihre Möbel sind trotz ihrer Funktionalität und des Umgangs mit modernen und industriellen Werkstoffen niemals kalt und haben alle eine schlichte, oft feminine Eleganz“.

Das Praktische im Schönen

Auch ging es der Nonkonformistin immer um das Praktische im Schönen. „Jedes einzelne Stück ist sehr durchdacht und kam den individuellen Bedürfnissen der Designerin entgegen“, erklärt Oliver Holy. Ob das eine Menton- oder Linoleum-Oberfläche ist, auf der das Geschirr nicht klappert. Oder die Höhenverstellbarkeit und Asymmetrie des Beistelltischs „E1027 Adjustable Table“, den man direkt ans Bett oder die Couch ziehen kann. Oder die schwenkbaren Laden des Tischchens „Petite Coiffeuse“.

Während sich Eileen Gray einem eher funktionellen Modernismus zuwandte, schwelgte der Grafiker und Juwelier René Lalique (1860-1945) in künstlerischem Glas. Er schuf Figuren und Gefäße, später auch Tische und beleuchtete Wandvertäfelungen. Vor allem seine Lampen sind heute begehrte Sammlerstücke. Berühmt sind seine Parfümflacons wie „L’Oiseau de Feu“ (Feuervogel).

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Opulent und prunkvoll: Die Einrichtung des Art déco richtete sich an eine reiche Oberschicht. Bild: GRASSI Museum für Angewandte Kunst Leipzig

Eckart Muthesius (1904-1989) war einer der wenigen deutschen Vertreter des Art déco. 1929 begegnete der Architekt und Innenarchitekt in Oxford dem indischen Fürsten Shri Yeshwant Holkar Bahadur. Der zukünftige Maharadscha beauftragte Muthesius mit dem Bau und der Ausstattung seines Palastes in Indore.

Der gebürtige Berliner wählte dafür Ideen berühmter Zeitgenossen, steuerte aber auch eigene Entwürfe wie Leuchten, Sitzgruppen und Bibliothekssessel mit eingebauten Leselampen und Aschenbechern bei. Als Inbegriff der Art-déco-Architektur gelten die pastellfarbenen Häuser in Miamis Art-déco-Viertel South Beach. Auch die berühmten Wolkenkratzer in New York wie das Chrysler Building, das Empire State Building und die Radio City Music Hall. Deren Innenausstattung ist das wohl wichtigste Beispiel für die französische Richtung des Art déco auf amerikanischem Boden. In Berlin steht ebenfalls ein originales Art-déco-Gebäude: Das Renaissance-Theater in Charlottenburg ist das einzige vollständig erhaltene Theater Europas aus dieser Epoche mit der kompletten Ausstattung aus den 20er Jahren.

Eine reiche Schicht, die auf Luxusdampfern und mit Flugzeugen reiste, umgab sich mit geradlinigen Gegenständen, die nichts Florales, nichts Fließendes hatten, sondern sich am Klassizismus und an der Antike orientierten. Professor Sabine Schulze, Direktorin des Museums für Kunst und Gewerbe Hamburg

Offen für die Zukunft

Doch auch wenn mit dem Art decó klassische Muster Niederschlag in der Dekoration fanden, grundsätzlich waren die Kreativen offen für Neues und für die Zukunft, die bessere Zeiten verhieß: „Es gibt viele feminin geprägte Objekte in kapriziöser Extravaganz“, sagt Thormann. Dazu gehören etwa Ruhlmanns geschwungene Möbel oder Laliques Glasstücke.

Zugleich wurden technische Neuheiten wie der Kunststoff Bakelit aufgegriffen und die Produktentwicklung damit vorangetrieben. Thorman sagt daher, „das Art déco verband sich explizit mit einem modernen Lebensgefühl, mit dem Blick nach vorn.“


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