Weniger Funktion, mehr Spektakel

Die 1970er und 1980er sind die goldenen Jahre des Designs. Nie ist mehr Ironie in Möbeln und Gebrauchsgegenständen zu entdecken. Ein Klassiker aus dieser Zeit ist die Zitronenpresse „Juicy Salif“ von Philippe Starck.

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Mehr Event als Gebrauchsgegenstand: Die Zitronenpresse „Juicy Salif“ von Philippe Starck hat kein Auffanggefäß und kein Sieb. Bild: Starcknetwork

Berlin. (dpa) Die 1980er Jahre waren das Boom-Jahrzehnt in Sachen Design: Alles war schrill und bunt. Immer mehr Serien flimmerten über die TV-Bildschirme und weckten dadurch neue Bedürfnisse. Schon in den 1970er Jahren hatte sich eine breite Geschmacks- und Stilvielfalt entwickelt. Diese Tendenz setzte sich nun fort. Schließlich ging es nicht mehr um „gut“ oder „schlecht“, „Kitsch“ oder „Gute Form“, „modern“ oder „retro“. In der sogenannten Postmoderne – der Begriff wurde von der Architektur auf das Design übertragen – schien alles erlaubt. Das beste Beispiel dafür ist die Zitronenpresse von Philippe Starck, die er 1987 entwarf und die seit 1990 von „Alessi“ produziert wird: „Juicy Salif“ mit ihren drei staksigen Beinen hat kein Auffanggefäß für den Saft und kein Sieb für die Kerne. Es ist eine geradezu grotesk geformte Design-Presse, bei der es nie um die Funktion ging, sondern bloß um das Spektakel.

Kommunikative Funktion

„Mir kommt es nicht darauf an, wie die Dinge aussehen, sondern welche Gefühle sie auslösen“, sagt Starck. Der Franzose, eine Art Pop-Star unter den Designern, gilt unter anderem wegen dieses Entwurfs als Vertreter des Designs, das die kommunikative Funktion eines Gegenstandes höher bewertet als die praktische. Tatsächlich soll Starck auf die Kritik an seinem Objekt erklärt haben, die eigentliche Funktion sei nicht das Auspressen von Zitronen, sondern das In-Gang-Bringen von Konversation. Diese These wird umso deutlicher angesichts einer Jubiläumsausgabe mit Goldbeschichtung, die „Alessi“ 2000 in einer Auflage von 9999 nummerierten Exemplaren herausbrachte. Die Firma versah sie mit der Warnung: „,Juicy Salif Gold‘ ist ein Sammlerobjekt. Benutzen Sie es nicht als Zitronenpresse: Bei Kontakt mit säurehaltigen Substanzen könnte die Vergoldung Schaden erleiden.“

Innovative Einzelstücke

Aus der post-radikalen Avantgarde der 1970er Jahre ging in Italien die Gruppe „Alchimia“ hervor. Zentraler Gedanke war die Gestaltung von innovativen Einzelstücken im Gegensatz zur industriellen Serienproduktion. „Re-Design“ ironisierte Klassiker von Mitgliedern des Bauhauses. Eines der berühmtesten Möbel aus dieser Zeit ist der Sessel „Proust“ von Alessandro Mendini („Cappellini“). Das Sitzmöbel mutet auf den ersten Blick barock an. Aber Lehne und Beine sind bunt bemalt und führen das Muster des Bezuges in Form und Farbe fort. Die Abkehr von funktionalistischen Prinzipien einte die Designer von „Alchimia“ mit der 1980 gegründeten Design-Gruppe „Memphis“. Deren Mitglieder standen auf Kriegsfuß mit der Industrie. Ihr Design sollte - teils auf ironische Art – neue Formwege einschlagen. Es spielte keine Rolle, ob die Objekte benutzt werden konnten, vielmehr standen die Sinnlichkeit, die Originalität und die Fantasie der Designer-Persönlichkeiten wie Ettore Sottsass, Andrea Branzi und Michele de Lucchi im Fokus. Giorgio Busnelli, Geschäftsführer von „B&B Italia“, sagt: „Bei ,Memphis’ standen der Ausdruck und die Ästhetik des Produktes im Vordergrund.“ Es sei nie für die Serienproduktion, sondern immer nur als limitierte Auflage gedacht gewesen. „Und doch war ,Memphis’ ein Befreiungsschlag für das Design. Es hat Tore aufgestoßen und die Erstarrung des Herkömmlichen aufgebrochen.“

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Eines der berühmtesten Möbel aus den 1980er Jahren ist der Sessel „Proust“ von Alessandro Mendini für die Firma „Cappellini“. Das Sitzmöbel bedient sich der Formensprache des Barock. Lehne und Beine sind bunt bemalt und führen das Muster des Bezuges in Form und Farbe fort. Bild: Cappellini

Schrilles Dekor mit Resopal

Beliebt für die Gestaltung der Oberflächen waren mit Kunstharz imprägnierte Papierbahnen, unter dem Markennamen Resopal bekannt. Diese bunten Plastiklaminate wurden zum schrillen Dekor von Möbeln wie dem Raumteiler-Regal „Carlton“ von Ettore Sottsass („Memphis“). Aber „Memphis“-Objekte fanden nur bei Sammlern Beachtung. Der normale Konsument richtete sich eher nicht mit den Rebellenmöbeln ein. Er griff etwa verstärkt auf Bauhaus-Möbel zurück: Schwarz-Weiß in Kombination mit Stahl war en vogue. Auch das Ehepaar Trix und Robert Haussmann setzte auf die Gestaltung ungewöhnlicher Oberflächen. Sie gehören zu den prägenden Figuren der Schweizer Designszene und setzten sich innovativ und provokant mit Materialien, Farben und Formen auseinander. Zu ihrem Werk gehört die ironische Möbelserie „Lehrstücke“ ab den späten 1970er Jahren.

Tromp-l’œil-Effekte

„Wir wollten überraschen und Sehgewohnheiten aufbrechen“, sagt Trix Haussmann. „Mit unseren ,Lehrstücken’ wollten wir die puristischen Prinzipien der Moderne infrage stellen.“ Sie verwendeten Marmorierungen, perspektivische Fremdungen und Tromp-l’œil-Effekte, die Dreidimensionalität vortäuschen. Einer ihrer Klassiker ist das Sideboard „Wogg 12“ („Wogg“). Ein Streifenmotiv legt sich hier wie ein sich im Wind bauschendes Tuch über das Möbel. Nicht nur die Italiener und Schweizer schlugen neue, freiere Wege im Design ein. Das sogenannte neue deutsche Design überraschte mit ungewöhnlich originellen Entwürfen, deren Namen sogar für deutsche Verhältnisse erstaunlich frischen Humor offenbarten. So entwarf „Stiletto“ alias Frank Schreiner den „Consumer’s Rest Lounge Chair“ (Firma „Brüder Siegel“) aus einem Einkaufswagen. Dafür wird der Korb des Wagens aufgetrennt. Erst die transparente Auflage aus dicker Weichfolie, wie man sie von Schwenktüren in Lagerhallen kennt, bietet für Sitz, Armlehnen und Rücken ein Minimum an Komfort – und verdeutlicht, dass es sich hierbei um ein Sitzmöbel handelt. Wolfgang Laubersheimer entwarf ein etwas krummes Stahlregal, auf dessen einer Seite ein straffes Stahlseil für Spannung und Stabilität sorgt. Er nannte es „Gespanntes Regal“. Uwe Fischer und Klaus-Achim Heine, die unter dem Namen „Ginbande“ firmierten, schufen experimentelle Objekte wie „Tabula Rasa“: Die Tisch-Bank-Kombination steckt in einem Holzkasten und lässt sich von 1,25 auf 5 Meter stufenlos ausziehen. Ursprünglich von „Vitra Edition“ in einer Auflage von nur 20 Stück produziert, gibt es heute eine Reedition von „Anthologie Quartett“.

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Ein Klassiker ist das Sideboard „Wogg 12“ von Trix und Robert Haussmann. Ein Streifenmotiv liegt hier wie ein sich im Wind bauschendes Tuch über dem Möbelstück.„Wir wollten überraschen und Sehgewohnheiten aufbrechen“, sagt Trix Haussmann. „Mit unseren ,Lehrstücken’ wollten wir die puristischen Prinzipien der Moderne infrage stellen.“ Bild: Glaeser Wogg AG

Erfolg mit Design

Design als Marketinginstrument hatten die Amerikaner schon in den 1950er Jahren entdeckt. Europa war etwas später dran – dafür aber mit durchschlagendem Erfolg. Noch nie hatte Design einen solchen Status wie in den 1980ern, noch nie waren alle Bereiche von Möbeln über Haushaltsgegenstände bis zu Wohnaccessoires von Design durchdrungen. 

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Das „Gespannte Regal“ von Wolfgang Laubersheimer hat auf einer Seite ein straffes Stahlseil. Bild: Nils Holger Moormann GmbH/Jäger 


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